UNENDLICH KNALLTS AM BESTEN!
1: Wo bitte geht es hier zum Anfang?
Was bisher geschah:
13 Milliarden Jahre hatte das Universum benötigt, um das Handy und ihre Trägertiere hervorzubringen.
Das
Zoey hatte mir später erzählt, dass es an jenem Abend wie eine
Blöde die
Straße entlang gerannt war, und das alles nur, um diesen
blöden Bus noch zu erwischen.
Ich selbst existierte zu diesem Zeitpunkt erst seit ein paar Stunden
und befand mich zudem an einem ganz anderen Ort des Universums.
Viele Begriffe und Umschreibungen des
Zoeys sind mir auch
bis heute noch rätselhaft. Den
Bus beispielsweise sollte ich demnächst
kennenlernen, während die
Straße im Folgenden keine Rolle
mehr spielen würde.
Blöd hingegen war offenbar ein allgemeiner Zustand,
der auf das gesamte Universum übertragen werden konnte.
Das
Zoey hatte weiter berichtet, dass es von einer blöden Party gekommen
war, auf der es nur blöde Jungs (offenbar eine fremde Spezies),
blöde Musik (laute Geräusche) und nur blödes Bier (unbeliebter
Brennstoff des Zoeys) und nicht mal Erdnussflips (beliebter Brennstoff
des Zoeys) gegeben hatte. Und obwohl es so langweilig gewesen
war, war es blöderweise trotzdem spät geworden und seine blöden
Eltern (Brennstoffbeschaffer?) würden wieder blöd rummachen. Der
Bus war der Letzte nach Krautmötzingen (seine Heimatwelt) und
wenn der weg war, blieb nur noch ein blödes Taxi (ein kleinerer Bus,
aber blöderweise viel teurer) übrig.
Das Zoey war ziemlich außer Puste, als es endlich die Haltestation
erreichte. Glücklicherweise stand der erhoffte Bus noch da. Mit einem
Satz hechtete es hinein und ließ sich auf den erstbesten Doppelsitz fallen.
Quer über beide Sitze liegend rang es erschöpft nach Luft.
Als sich das Zoey nach einer Weile beruhigt hatte, sah es draußen
neben dem Wartehäuschen (Unterstand für Wasserscheue) den Busfahrer
(fremde Spezies?), der sich in aller Seelenruhe eine Zigarette
(vermutlich ebenfalls Brennstoff) anzündete. Das Zoey fummelte ein
Handy (ein Gerät, das in enger Symbiose mit seinem Trägertier steht)aus der Tasche, besah sich die Uhrzeit und stellte fest, dass die Abfahrt
erst in fünf Minuten stattfinden würde.
»Na super«, brummte es sich selber zu. Da hätte es gar nicht so
rennen müssen. Nebenbei stellte das Zoey fest, dass es der einzige
Fahrgast war. Es steckte sich Stöpsel in die Hörorgane, wählte auf
dem Handy die Geräusche-Funktion und drehte voll auf.
Im nächsten Moment war das Zoey mitsamt dem Bus vom Erdboden
verschwunden, als wäre es nie dagewesen.
Irgendwie bin ich intelligent geworden. Aus Versehen natürlich. Das
heißt natürlich nicht natürlich, sondern auf eher unnatürlichem Weg.
Ich sehe schon, ich sollte am besten mal von vorne anfangen: Vor
meiner Bewusstseinsbildung war ich ein Pilz gewesen. Ein stumpfsinniges
und dummes Gewächs, doch immerhin mit einer gewissen
elektro-biologischen Aktivität versehen. Ich und all meine Kollegen
waren das Ergebnis einer auserlesenen Zucht und schwammen nichts
denkend und demzufolge nichts ahnend auf der Oberfläche eines
Sumpfbeckens herum. Wie ich später erfuhr, wären wir alle zu einem
Schmiermittel für den Murgel verarbeitet worden, wenn nicht die Sache
mit dem Zoey dazwischengekommen wäre.
Wir Pilze waren nur eines von den vielen Mittelchen, die in verschiedenen
Becken, Beeten, Tanks und Kammern gezüchtet, manipuliert,
verkocht, vermixt und schließlich dem Murgel zugeführt wurden.
Die ganze Logistik wurde dabei von den Ferromechteks bewältigt. Es
gab Trillionen von den winzigen Maschinenwesen, sie schufteten und
wuselten wie zugedröhnte Waldinsekten und hielten den gesamten
Laden in Gang. Einer von ihnen war Contro Haxl III
27. Wie er mir später
erzählte, war er gerade auf dem Weg zu den Stechrübenhabitaten gewesen.
Auf dem Rücken trug er eine prallvoll geladene Kollervirus-
Kanone, doppelt so groß wie er selbst. Das Stechrübenexperiment
lief nicht besonders gut, die Pflanzen waren voll in die Breite gegangen
und brummten jetzt depressiv vor sich hin. Mithilfe eines ordentlichen
Kollers sollten sie noch eine letzte Chance erhalten, bevor sie
als Dünger verwertet wurden.
Mit seinen winzigen Magnetplattfüßen krabbelte Contro Haxl III
27
gerade an der Metalldecke entlang, als die gesamte Forschungsfestung von einem gewaltigen Stoß erschüttert wurde. Vermutlich war
mal wieder einer der Asteroiden mit der Anlage kollidiert. Contro
Haxl III
27 verstärkte seine Plattfußmagnete, um nicht von der Decke zu
fallen, doch im selben Moment rammte ihn von hinten eine Blindlampe.
Der Ferromechtek und die Blindlampe fielen in die Tiefe, genau
auf das Sumpfbecken zu, in dem ich mich inmitten der Pilzkolonie
befand. Noch im Flug klammerte sich Contro Haxl III
27 eisern an
seiner Viruskanone fest, als hinge sein Leben daran. Er hing immer
noch an ihr, als sie sich tief in meinen Pilzkopf bohrte. Die Blindlampe
landete oben drauf und tat ihr Übriges, um die Kanone auszulösen.
Der Kollervirus wurde mitten in meine Pilzhaube geschossen. Ich
hatte zwar kein Gehirn, aber jede Menge elektrobiologische Fluktuationen,
die durch den Virus außer Rand und Band gerieten und einen
Kurzschluss verursachten. Die elektrische Entladung ließ meine Lamellen
verschmoren und versetzte sowohl Contro Haxl III
27 als auch
der Blindlampe einen Schlag, der es in sich hatte.
»Xrzfx!«, fluchte der Ferromechtek und die Blindlampe pfiff aus
dem einzigen Loch, das sie hatte, während ich mir die Wurzel aus sieben
Millionen vierundsechzigtausendneunhundertvierundsechzig ausrechnete.
Das war in der Tat meine erste intelligente Tätigkeit gewesen.
Mein zweiter Gedanke war, was ich mir eigentlich dabei dachte, zu
denken und dann ausgerechnet so etwas. Gerade eben war ich noch
ein dumpf dahinsporender Pilz gewesen, mehr Pflanze als Tier und nun
versuchte ich, unsinnige Rechenaufgaben zu lösen. Von den äußeren
Umständen, die zu meiner Bewusstwerdung geführt hatten, wusste ich
zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nichts. Ich wusste sogar rein überhaupt
nichts, außer dass zweitausendsechshundertachtundfünfzig das
Ergebnis der Wurzelberechnung war. Ich hatte weder Augen noch Ohren,
folglich war alles dunkel und still. Ich wusste auch nicht, ob es außer
mir noch andere Lebewesen im Universum gab und dass es überhaupt
ein Universum gab. Ich spürte lediglich, dass mein gerade entstandenes
Universum dabei war, sich in Schaum aufzulösen. Mein Pilzkörper
war völlig demoliert, während ihm der Kollervirus den Rest gab
und mich ungebremst schäumen ließ. Zu meiner Rettung spürte ich etwas
Metallisches, das irgendwie in mein biologisches Chaos hinein
sank und mich dabei nach allen Seiten wegschob. Instinktiv benutzte
ich das Metall als Leiter und verließ schleunigst meinen sich auflösenden
Körper. Ich wurschtelte mich entlang der Eisenatome, bis ich so etwas
wie ein schönes freies Zimmer fand.

Natürlich rätselte ich, in was ich da hineingeraten war. Diese positiven
und negativen Elektronen und Protonen, die hier herumwuselten,
zogen mich an wie einen Magneten. Ich spürte, dass sie genau
das waren, was ich zum Leben brauchte. Ich war zwar blind, aber irgendwie
konnte ich mich immer weiter vortasten. Hier gab es Energie
in Hülle und Fülle. Ich fand eine Leitung und nuckelte ein wenig an
ihrem Ende, um mich erst einmal etwas zu stärken. Als Nächstes erkundete
ich meine neue Umgebung. Alles war ganz fremd und neu für
mich, ich durchstreifte Leitungen und Widerstände, ohne eine Ahnung
davon zu haben, wozu sie gut waren.
Schließlich geriet ich in einen etwas größeren Chip, der nervös
summte. Es fühlte sich wie ein Stottern oder ein Kurzschluss an, fast
so, als rief jemand ununterbrochen: »Linkslinkslinkslinks …«
Offensichtlich wohnte hier jemand.
»Zweitausendsechshundertachtundfünfzig?«, fragte ich ins Ungewisse
hinein. Doch die fremden Stotterimpulse fuhren unbeirrt mit
ihrem Linksdrall fort.
»Äh … hallo? Wer spricht denn da?«, versuchte ich es erneut in einer
Sprache, die ich mir gerade selbst zusammenbastelte. Doch wer
immer hier war, er stotterte ungebremst weiter und reagierte nicht.
Ich ertastete so etwas wie einen großen An-Aus-Schalter und legte
ihn mehrmals um und zurück, doch auch das änderte nichts. Ich
tappte hier im wahrsten Sinn des Wortes im Dunkeln.
Neben dem Schalter stieß ich auf den Typen, von dem das Stottern
kam. Wie sich schnell herausstellte, handelte es sich um einen
einfachen und beschränkten Intellekt, der hier irgendetwas zu bewegen
versuchte. Er hockte inmitten seines Steuerchips, mit dessen Hilfe
sechs Bewegungsrichtungen bestimmt werden konnten: rechts,
links, vorne, hinten, oben, unten.
Als mich der Steuertyp bemerkte, verpasste er mir einen Schlag,
der mir zu verstehen gab, dass ich hier nichts zu suchen habe.
Da wir aber ganz offenbar gemeinsam in einer hoffnungslosen Situation
gefangen waren, zwängte ich mich trotz aller Schläge und Proteste
zu ihm hinein, um eine Lösung zu finden. Er drosch dabei wild
auf mich ein und so fand ich mich unversehens in meiner ersten Prügelei
wieder. Es funkte und krachte, wobei mir ganz nebenbei eine
unbekannte Welt von Sternen offenbart wurde. Während wir uns zofften,
fuhren die elektrischen Entladungen in zufälliger Abfolge in die
verschiedenen Richtungsgeber ein. Plötzlich verstummte das Stottern
und der Typ hielt für einen Moment inne. Dann bedankte er sich
bei mir, indem er mir einen weiteren Elektroschock verpasste. Ich
machte, dass ich aus seinem Steuerchip wieder herauskam. Irgendetwas
sagte mir, dass sich die Konstruktion, in der ich mich befand, in
Bewegung gesetzt hatte.

Ich wusste nicht, wie die Welt da draußen beschaffen war, doch es
ging irgendwie vorwärts. Allerdings nicht sehr lange. Ein Ruck ließ
uns wieder zum Stillstand kommen. Wir waren gegen ein Hindernis
gestoßen oder irgendwo aufgelaufen. Kurz darauf vernahm ich ein
rülpsendes Geräusch, das definitiv nicht von dem beschränkten Steuertyp
kam. Offenbar gab es hier noch jemand anderen.
»Die Wurzel aus …«, versuchte ich es erneut mit einem Kontaktversuch,
wurde jedoch von einem »Hrr?« unterbrochen. Die Stimme
kam aus einer Art Kommunikationsvorrichtung.
»Hallo, ist da noch jemand?«, setzte ich in meiner selbst erfundenen
Sprache hinterher. Wieder hörte ich ein undefinierbares Grunzen:
»Frrz?«
»Wer seid ihr, wo bin ich und was passiert hier?«, wollte ich wissen.
Es blieb eine ganze Weile ruhig, während mir der Steuertyp von
seinem Chip aus weiterhin böse Blitze zuschleuderte. Schließlich
meldete sich eine neue Stimme, die sich überraschend klar ausdrückte:
»Hast du was gesagt?«
»Ja, halloooo!«, rief ich freudig in die Kommunikationsvorrichtung
hinein.
»Tatsächlich. Seit wann kann eine Lampe sprechen?«, vernahm ich.
»Aber ja! Ich, ich habe gesprochen!«, bestätigte ich.
»Unglaublich. Du bist aber nur durch die universelle Übersetzungsapp
zu verstehen!?«, kam es etwas verwundert zurück.
»Keine Ahnung. Aber ihr versteht mich doch, oder?«, rief ich voller
Hoffnung, endlich auf etwas Intelligentes gestoßen zu sein.
»Lampen sprechen nicht. Und schon gar nicht in fremden Sprachen
«, erwiderte mir der Fremde.
»Was für eine Lampe?«, fragte ich.
Ich hörte ein Klappern und fragte nervös: »Was klappert denn da?«
»Das war ein guter Witz,« bekam ich als Antwort und wieder klapperte
es.
»Wer bist du?«, fragte ich jetzt mit einem leichten Anflug von Panik.
»Ich bin Contro Haxl III
27. Einer der unzähligen Ferromechteks, die
hier den ganzen Laden schmeißen,« erklärte er mir. »Und du blinde
Lampe hier bist mit mir zusammengestoßen! Apropos, kannst du mal
Licht machen. Es ist stockdunkel hier unten!«
»Licht? Wenn ich wüsste, was und wie …«
»Na der Hauptschalter, du Trottel!«
Erneut legte ich den großen Schalter um, doch wieder tat sich
nichts.
Dennoch vernahm ich ein freundliches »Danke!«
»Wieso danke? Es tut sich doch gar nichts?«, fragte ich verwundert.
Dieser Contro Haxl III
27 erklärte mir, dass ich mich in einer Blindlampe
befand. Ein einfältiges Gerät, dessen einzige Aufgabe darin bestand,
anderen Bewohnern des Hauses den Weg zu leuchten. Sie
selbst war allerdings blind.
Er erzählte mir von dem Zusammenstoß, wie er gemeinsam mit
der Blindlampe in dieses Sumpfbecken gefallen und darin versunken
war, wobei die wesentlich größere Lampe den kleinen Ferromechtek
unter sich begraben hatte.
»Und wer bist du, wenn du nicht die Lampe bist?«, fragte er mich
anschließend.
»Keine Ahnung. Ich glaube, vorhin war ich noch einer der Pilze da
oben.«
Wieder hörte ich das klappern.
»Ich glaube, ich war irgendwie bei diesem Zusammenstoß mit verwickelt
«, erzählte ich weiter. Es klapperte immer lauter, wobei mich
das dumme Gefühl überkam, dass sich der Ferromechtek über mich
kaputt lachte.
»Es gab einen Kurzschluss oder so, und dann war ich plötzlich
da«, versuchte ich ernsthaft zu erklären, doch der Rest ging in dem
Geklappere unter.
»Eine nachwitzige Sumpfbacke!«, rief Contro Haxl III
27 und klapperte
erneut.
Eine nachwitzige Sumpfbacke.
Immerhin wusste ich jetzt wenigstens,
was ich war.
Mein Erstkontakt zum Universum war ziemlich unglücklich verlaufen.
Mein Körper hatte sich aufgelöst und diese Blindlampe wollte mich
einfach nur loswerden. Glücklicherweise entpuppte sich der Ferromechtek
als wesentlich freundlicher. Contro Haxl III
27 hatte vorgeschlagen,
mein Quartier zu wechseln und zu ihm zu ziehen. Zumindest
so lange, bis entschieden wurde, was mit mir weiter geschehen
sollte.
Er schaufelte sich zu der Blindlampe, suchte die einzige Öffnung,
die das Ding hatte, und steckte seinen Kopf hinein. Dann lotste er
mich aus der Blindlampe hinaus und saugte mich zu sich hinein. Die
beschränkte Blindlampe beschleunigte die Sache, indem sie mir zum
Abschied noch einen wütenden Tritt verpasste.
Ich sauste in den Schlund des Ferromechteks und flutschte durch
seine elektronischen Innereien. Sofort stellte ich fest, dass der Kerl
ungleich kleiner, enger und vor allem komplexer aufgebaut war. Vergeblich
versuchte ich, mich in den Schaltkreisen zu orientieren, doch
glücklicherweise kam mir der Intellekt von Contro Haxl III
27 bereits
entgegen. Ein Dolmetscherkollege hatte ihm vorhin bei unserem Erstkontakt
eine Übersetzungsapp zugesendet. Keine Ahnung, wie so was
funktioniert, aber dank dieser konnten wir uns problemlos verständigen.
Ich erfuhr, dass ich mich nun in den Innereien desjenigen befand,
der mir versehentlich die Kollerviruskanone in den Pilzkopf gebohrt
hatte. Ohne Contro Haxl III
27 würde ich gar nicht existieren.
»Keine Ursache«, winkte er ab, als ich mich dafür bedanken wollte.
Er war äußerst zuvorkommend, bot mir eine Ecke in seinem Arbeitsspeicher
an, reichte mir einen Ladestrohhalm und gestattete mir
sogar Zugriff auf seine Kameraaugen.
Der erste Blick meines jungen Lebens in die Welt da draußen zeigte
mir … nichts, und zwar in Dunkelgrün.
Erst nach genauerem Hinsehen begriff ich, dass dies die Ursuppe
meiner Entstehung darstellte. Über uns flackerte ein Licht auf und
nun erkannte ich unzählige Fussel, die über einen schlammigen Boden
tanzten. Dann kam die Blindlampe ins Bild, die sich aufgemacht
hatte und auf Spinnenbeinen blind und ziellos durch das Sumpfbecken
watete. Immerhin konnte sie wieder laufen, doch ihr Licht flackerte
bedenklich unregelmäßig.
Der Auftrag des Ferromechteks, sich um das Stechrübenhabitat zu
kümmern, war mit dem Verlust der Kollerviruskanone hinfällig geworden.
Solange er keine weitere Anweisung erhielt, gab es auch
nichts weiter zu tun.
Da ich von nichts eine Ahnung hatte, erhielt ich von Contro Haxl
III
27 freundlicherweise eine kurze Schnelleinführung in die physikalischen
Gegebenheiten des Universums. Während er mir von Urknall,
Galaxien und schwarzen Löchern erzählte, zählte ich die Luftblasen,
die der Oberfläche entgegenstrebten. So erfuhr ich unter anderem,
dass wir uns hier in einer Forschungsfestung befanden, die wiederum
innerhalb eines Asteroidenringes eine rote Riesensonne umrundete.
Der äußerst erzhaltige Ring war zugleich die Heimat der Ferromechteks.
(Auf der sonnenzugewandten Seite brodelte das Eisenerz
in kochenden Seen, was nicht nur zum Baden einlud, sondern eine
unerschöpfliche Quelle an Gussmaterial darstellte.)
Während Contro Haxl III
27 sich in seinem Redefluss gar nicht mehr
bremsen ließ und inzwischen jenseits der Lichtgeschwindigkeit angelangt
war, streifte mein Blick weiter durch das trübe Gewässer, wobei
mir ein Hügel durch seine gleichmäßige Form auffiel.
»Und was ist das?«, unterbrach ich ihn, um zunächst erst einmal
die unmittelbare Umgebung zu begreifen.
»Sicher etwas, dass nicht in einen Schlammboden gehört«, meinte
Contro Haxl III
27 unwirsch. Doch dann besann auch er sich wieder auf die
Gegenwart und beschloss, sich die Sache näher anzusehen. Schwerfällig
schaufelte er sich zu dem Hügel hin und wischte den Schlamm beiseite,
bis eine glänzende Oberfläche zum Vorschein kam.
»Das Ding muss ja schon ewig hier herumliegen«, meinte er und
schaufelte das Ding komplett frei, bis er eine bunt schillernde Kugel
vor sich hatte. Sie war um ein Dreifaches größer als er selbst und sah
aus wie eine große Luftblase, die nicht platzen wollte.
»Was ist das denn jetzt?«, wollte ich erneut wissen.
»Ich komme gerade nicht auf den Namen, aber es gehört dem
Multidoxilum.«
Von nun an ging es aufwärts. Contro Haxl III
27 hatte die schillernde
Kugelblase huckepack genommen und kämpfte sich damit aus dem
Sumpfbecken. Vorsichtig setzte er eine Fußhand vor die andere und
arbeitete sich so an einer senkrechten Wand hinauf.
»Das Multidoxilum ist das Zentrum dieser Forschungsfestung und
das Wesen, um das sich hier alles dreht«, nahm mein freundlicher
Wirt seinen Vortrag wieder auf. »Da es zwar aus allen möglichen Dimensionen
und Energieformen besteht, aber aus keiner bekannten
Materie, also quasi körperlos ist, helfen wir Ferromechteks ihm bei
seinen Forschungen, so gut es uns eben möglich ist.«
Kaum hatten wir das Sumpfbecken verlassen, als wir einen fürchterlichen
Schrei vernahmen, der durch sämtliche Wände gellte.
»Das kommt von oben aus der großen Halle«, erklärte mir Contro
Haxl III
27 in aller Ruhe, »damit werden neue Besucher angekündigt.«
Doch dann blieb er dennoch verwundert stehen und meinte, dass der
Schrei dieses Mal ungewöhnlich schrill gewesen sei. Gerade wollte
Contro Haxl III
27 weiterkrabbeln, als eine heftige Erschütterung folgte.
Die Kugel entglitt seinen kleinen Fußhänden, sie fiel zu Boden und rollte
davon. Gleichzeitig erhielt er eine neue Anweisung von den Koordinationsemittern
des Multidoxilums. Er solle so schnell wie möglich in
die Große Halle kommen. Er beschloss, sich später um die Kugelblase
zu kümmern, zündete seine Flugdüsen, hob ab und beschleunigte.
Durch die Kameras und Mikrofone meines freundlichen Wirts konnte
ich alles um mich herum sehen und hören, als wären es meine eigenen
Sinnesorgane. In der Großen Halle herrschte reges Treiben. Unzählige
Ferromechteks kreuzten unseren Weg. In der Mitte fiel mir sofort die
dicke Säule aus Licht auf. Contro Haxl III
27 landete bei einer Gruppe, die
abseits am Rand mit einem trichterartigen Aufbau beschäftigt war.
»Der Geräuschpegelanzeiger ist mit solcher Wucht ausgeschlagen,
dass er am Anschlag zerbrochen ist!«, hörte ich jemanden sagen.
»Was ist denn passiert?«, fragte Contro Haxl III
27 eine Kollegin.
»Dasselbe will das Multidoxilum von uns wissen!«, fuhr die Angesprochene,
die sich Hetzka Zeppla XIV
9 nannte, herum und lamentierte
weiter: »Wir hatten unendliche Berechnungen für diesen Dimensionstunnel
angefertigt, monatelang haben wir den Murgel auf diesen Ton
eindressiert, ihm Vibrationsvitamine, Schmiersalben und stimmbandstabilisierende
Pilzextrakte verabreicht! Wieso kreischt das dumme
Vieh im entscheidenden Moment dermaßen schrill daneben?«
Contro Haxl III
27 sah sich nach dem sogenannten
Vieh um, dass
sich hinter dem sogenannten Töner befand. Ich erkannte ein einziges
Büschel aus schwarzen Haaren, die explosionsartig in alle Richtungen
abstanden. Vermutlich eine Bioform, wie ich eine gewesen war. Zwei
ohnehin große Sehorgane wirkten unnatürlich geweitet und starrten
voller Entsetzen ins Leere. Der gesamte Körper zitterte und hielt sich
kaum noch auf den beiden dünnen Füßen.
»Da ist etwas Nasses auf den Murgel getropft!«, vermeldete ein
Kollege von weiter oben.
»Etwas Nasses!«, rief Hetzka Zeppla XIV
9 kopfschüttelnd.
»Das Tier ist aus unerfindlichen Gründen extrem wasserscheu«,
erklärte mir mein Wirt.
Dieser haarige Ball mit den instinkthaften Eigenbewegungen (andere
behaupteten später, man könne es auch als
ein kleines putziges
Tierchen auf zwei Hüpfbeinen bezeichnen) hätte sicher keinen weiteren
Nutzen gehabt, wenn er nicht die besondere Eigenschaft besessen
hätte, einen Ton über mehrere Dimensionen hinweg zu erzeugen.
Mit diesem Ton konnten vieldimensionale Raumtunnel aufgebaut
werden, die das zentrale Element in den Forschungen des Multidoxilums
darstellten. Aus diesem Grund waren die Ferromechteks stets
damit beschäftigt, die Tonlage des Murgels zu verfeinern. So war
auch das Schmiermittel, das aus uns Pilzen extrahiert werden sollte,
ein Bestandteil einer Stimmbandschwingungspegelpaste.
Für den soeben erzeugten Dimensionstunnel wäre ein Öüü
ä-Ton in
einer exakt berechneten Wellenlänge erforderlich gewesen.
»Der Dimensionstunnel hat sich jetzt vollkommen ziellos und
sonst wo durch den Raum gebohrt«, zeterte Hetzka Zeppla XIV
9.
Contro Haxl III
27 deutete auf die Lichtsäule: »Aber offenbar hat der
Tunnel trotz alledem etwas in der Unendlichkeit getroffen!«
Wir blickten auf das Ding, das im Schein der Lichtsäule erschienen
war: ein großes, rechtwinkliges Gebilde auf vier seltsamen Gummirädern.
Auf ein Zeichen hin aktivierten Contro Haxl III
27, Hetzka Zeppla XIV
9
und fünf Millionen weitere Ferromechteks ihre Düsen und flogen auf
das Ding zu, richteten ihre jeweils acht Fußarme nach vorne aus, landeten
auf einer dunkelroten, blechernen Fläche und schalteten in ihren
kleinen Plattfüßen die Magnete ein. Dann hoben sie alle gemeinsam
das Ding aus der Lichtsäule und setzten es in unmittelbarer Nähe eines
wirr flirrenden Knäuels ab. Wie sich herausstellte, handelte es
sich dabei um jenes Multidoxilum, um das sich hier alles drehte. Das
Wesen schien völlig außer sich zu sein. Der mehrdimensionale Körper
pulsierte wie verrückt, die Aurasegmente vibrierten, Elementarfäden
verknoteten sich, Gedächtnisagglomerate und Koordinationsemitter
wirbelten völlig unkoordiniert durcheinander. Contro Haxl III
27 und
Hetzka Zeppla XIV
9 machten, dass sie weg kamen und landeten wieder
in der Nähe des Murgels.
Die Dolmetscher-Ferromechteks hatten ihre universellen Übersetzungsprogramme
geladen und hielten sie bereit.
Doch nichts tat sich.
»Normalerweise sind die ersten Worte eines eingefangenen Besuchers
stets dieselben: Wo bin ich hier?, Wie komme ich hierher?, und
wenn die unfreiwilligen Ankömmlinge das Multidoxilum erblickten,
lautete die dritte Frage: Und was ist das für ein komisches Knäuel
da?«, erklärte mir Contro Haxl III
27.
Das Ding aus der Unendlichkeit gab jedoch keinen Laut von sich.
Es stank nur vor sich hin.
»Pheromon-Botensprache?«, fragte Hetzka Zeppla XIV
9 einen Dolmetscher,
der in unserer Nähe stand. Der Angesprochene schüttelte
den Kopf.
»Ein Raumschiff?«, vermutete jemand anderes, doch niemand gab
eine Antwort.
Plötzlich zischte und rumorte das Ding und eine rechteckige Öffnung
bildete sich. Heraus kam eine pilzähnliche Bioform, wie ich es
gewesen war. Na ja, nicht ganz. Für einen Pilz war die Gestalt eigentlich
etwas zu groß und der Kopf zu klein und zu haarig. Außerdem
verfügte es über zwei Beine, zwei Arme und zwei Augen. Ein echtes
Weltraummonster. In zwei Hörorganen steckte je ein Stöpsel, die wiederum über Kabel mit einem kleinen Gerät verbunden waren, welches
das Monster in den Greifern hielt.
Das fremde Wesen presste und rieb sich die beiden Beine aneinander
und gab helle Geräusche von sich, dann verschwand es hinter
dem Gebilde, aus dem es eben gekommen war. Die Dolmetscher
brauchten nicht lange, dann hatten sie die fremde Sprache übersetzt.
»Was hat es gesagt?«, wollte Contro Haxl III
27 wissen. Der Dolmetscher
zitierte kopfschüttelnd das Ergebnis: »Gibt’s hier irgendwo ein Klo?«
Später erzählte mir das Zoey, dass es sich, nachdem es sich in Ermangelung
einer Toilette hinter dem Bus erleichtert hatte, sogar
ganz besonders leicht gefühlt hätte. Viel leichter als sonst. Es hatte
sogar plötzlich Probleme beim Gehen, die Füße wollten nicht so recht
auf dem Boden bleiben. Als das Zoey probeweise hochsprang, vollzog
es einen ungewöhnlich hohen Bogen von mehreren Metern.
»Was geht denn hier ab?«, wunderte sich das Zoey. Dann sah es sich um und formulierte die überfälligen drei Sätze, die jedes andere
Lebewesen in dieser Situation schon längst von sich gegeben hätte:
»Wo bin ich hier?, Wie komme ich hierher?« … doch dann sagte es:
»Schon wieder so ein verdammtes Knäuel!«
Das Zoey hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, was es mit
der dritten Frage ausgelöst hatte. Es war genau die Frage, auf die das
Multidoxilum seit Jahrtausenden gewartet hatte. Sie war das Gegenteil
von all dem, was alle anderen Besucher bisher von sich gegeben
hatten. Das Wesen aus den Tiefen des Alls hatte das Multidoxilum offenbar
erkannt.
Mit dem
verdammten Knäuel hatte das Zoey aber gar nicht das wabernde
Gebilde des Multidoxilums gemeint, sondern den Knoten, der
sich in dem Kopfhörerkabel gebildet hatte. Mit geschickten Greifern
fitzte es ihn auseinander und checkte das Gerät, das auf seiner Heimatwelt
als
Handy bezeichnet wurde. Es musste feststellen, dass es sich in
einem
Funkloch befand und dokumentierte dies mit: »Mist.«
Die Busstation war dem Zoey unbekannt. Sie war ungewöhnlich
groß. Es musste irgendjemanden finden, den es fragen konnte, und
das mitten in der Nacht. Der Busfahrer war seltsamerweise auch
nicht da. Weder im Bus noch sonst wo.
Das Einzige, was es entdecken konnte, war ein krasses Lichtgeflimmere
und jede Menge dieser Krabbelkäfer. Sie waren nicht nur
überall, sondern krabbelten auch alle genau auf das Zoey zu. Das
Zoey hatte aber keine Lust, von Krabbelkäfern bekrabbelt zu werden,
und suchte sich eilig einen Ausgang. Die erstbeste Fluchtmöglichkeit
bot sich gleich neben dem Bus und führte nach unten. Seltsamerweise
gab es keine Treppen, nur ein Gefälle, vermutlich haben die hier
wegen der Kinderwagenmütter und den Rollstuhlfahrern so was gebaut.
Offenbar war es bei einem Bahnhof gelandet und die Unterführung
führte unter den Gleisen hindurch. Das Zoey konnte sich jedoch
nicht zusammenreimen, welcher Bahnhof das hier sein sollte. Es war
mit Sicherheit noch nie hier gewesen.
Alles sah sehr komisch aus. Ein paar Lampen waren willkürlich
über die Wände und Decke verteilt und erhellten den Weg. Alles sah
seltsam metallisch aus und fühlte sich ungewöhnlich warm an. Plötzlich
knackste es unter den Füßen. Das Zoey musste feststellen, dass
es einen der Käfer zertreten hatte und dieser ebenfalls aus Metall
gefertigt war. Das machte sie nicht unbedingt zu angenehmeren Zeitgenossen.
Als Nächstes stellte das Zoey fest, dass die Käfer nicht die
Einzigen waren, die herumkrabbelten. Auch die Lampen an den Wänden
bewegten sich. Und zwar, wie es entsetzt feststellen musste, auf
metallischen Spinnenbeinen.
Das war zu viel des Guten. Das Zoey öffnete den Mund und bewegte
sich mit schrillen Lautgeräuschen und einer erstaunlichen Geschwindigkeit
hinweg.
Contro Haxl III
27 hatte zusammen mit zehntausend Kollegen die Anweisung
erhalten, das fremde Weltraummonster zu beobachten und
ihm zu folgen. Die dritte Frage des Ankömmlings, ›
Schon wieder so
ein verdammtes Knäuel‹, hatte das Multidoxilum in helle Aufregung
versetzt, schien es doch darauf hinzudeuten, dass dieses Weltraummonster
bereits öfters Knäueln wie ihm begegnet war. Es musste in
jedem Fall wieder eingefangen werden.
Ich hatte indessen so viele Fragen und glücklicherweise erwies
sich mein Gastgeber als äußerst auskunftsfreudig. Mit viel Geklapper
klärte er mich unterwegs weiterhin über seine Welt auf.
Dieses multidimensionale Wesen war vor langer Zeit auf einem ihrer
bewohnten Asteroiden gestrandet. Niemand, nicht einmal es
selbst wusste, woher es kam. Es war körperlich kaum vorhanden und
drohte, von den Sonnenwinden verweht zu werden. Die netten Ferromechteks
hatten sich sogleich um den fremden Besucher gekümmert
und ihm eine feste Behausung gebaut. Sie konstruierten das Gebäude
praktischerweise gleich rund um ihn herum. Im Lauf der Zeit kamen
weitere Anbauten hinzu und später ein komplettes Laboratorium.
All das wurde nach genauen Angaben des Multidoxilums errichtet.
Auf diese Weise entstand die Forschungsfestung.
Das Multidoxilum war uralt und verfolgte seit zehntausend Jahren
nur ein einziges Ziel: Es wollte seinen Ursprung ergründen. Irgendwie
war ihm die entsprechende Information dazu verloren gegangen, sodass
es sich nicht mehr erinnern konnte.
Das mehrdimensionale Wesen gestaltete die Nachforschungen nach
seinem Stammbaum jedoch auf seine eigene Art. Es reiste nicht wie andere
Forscher durch das Universum, um verschiedene Völker zu befragen
oder eventuelle Archive zu durchstöbern, sondern machte es umgekehrt:
Es holte Vertreter der einzelnen Völker per Dimensionstunnel
zu sich in die Forschungsfestung und ließ
sie die Fragen stellen. Es waren
immer dieselben drei
wo-, wie-, und
was ist das für ein Knäuel-
Fragen, mit denen die unfreiwilligen Besucher hier ankamen. In dem
Moment, wenn das Multidoxilum als seltsames Knäuel bezeichnet wurde,
wusste es, dass die Besucher ihn als Wesen oder Spezies nicht erkannt
hatten und sie ihm in seiner Sache nicht weiterhelfen konnten.
Die Besucher wurden dann stets umgehend zurückgeschickt.
Tragischerweise hatte das Multidoxilum im Lauf seiner Suche
nicht die leiseste Spur seines Volkes gefunden und vermutlich hatte
es nur aus Sturheit noch nicht aufgegeben.
Contro Haxl III
27 war so in seinen Geschichtsunterricht vertieft, dass
er das fremde Weltraummonster aus den Augen verloren hatte. Er
folgte der Schar der Ferromechteks, die in den Gang zu den Zuchtanlagen
drängten, und legte einen Zahn zu. Kopfüber an einer Decke
überholten wir Hunderte der Ferromechteks und wichen geschickt
den Spinnenbeinen der Lampen aus, die hier blindlampenlings herumirrten.
Gerade, als das fremde Wesen wieder vor uns auftauchte, kreischte
es erneut auf und rannte uns abermals davon.
Das Zoey hatte die Krabbelkäfer so weit abgehängt, dass sie erst mal
außer Sichtweite waren. Nach Luft schnappend stützte es sich an einem
Eingangsportal ab. Es musste sich eingestehen, dass dies hier
weder ein Bahnhof, eine Busstation noch der Werkshof war. Irgendwie
hatte es den falschen Bus erwischt. Seltsam auch, dass der Fahrer
nirgends zu finden war. Noch seltsamer war, dass sich das
Zoey so leicht fühlte. In riesigen Schritten war es eher gehüpft als gelaufen.
So etwas hatte es noch nie erlebt.
Auf seiner Flucht waren dem Zoey weder Werbeplakate noch Graffiti
aufgefallen, oder irgendein Schild mit einem Stationsnamen oder
überhaupt ein Schild. Auch ein Automat mit Süßigkeiten war ihm
nicht begegnet. Ein paar Chips wären jetzt gerade richtig gewesen,
denn auf der blöden Party hatte es nur Bier gegeben. Stattdessen
war das Zoey in einer Mischung aus Gärtnerei und botanischem Garten
gelandet. An dem seltsam verschnörkelten Baum hingen ein paar
dieser Spinnenlampen, die alles in diffuses Licht tauchten. Glücklicherweise
bewegten sie sich nicht und hingen weit oben. Rechts und
links des Weges wuchsen seltsame Bananen, zumindest hatte das
Zoey Bananenstauden auf Instagram etwas anders in Erinnerung. Genau
genommen kam ihm keines der Gewächse hier bekannt vor.
Höchstens die Pilze, die es in einem Sumpfbecken entdeckte. Mitten
darin in einem Schaumgebilde schwamm eine Spritze und das Zoey
fragte sich, wie die da hingekommen sein mochte.
In einer Ecke am Boden entdeckte das Zoey eine schillernde Kugel,
ganz ähnlich einer Seifenblase. Als es danach griff, platzte sie
nicht wie erwartet, im Gegenteil, sie fühlte sich zwar gummiartig,
aber fest an. Vor allem sah sie ziemlich interessant aus, als ob sich
gleichzeitig mehrere schrille Videoclips darin abspielen würden.
»Geil«, meinte das Zoey, was auch immer das bedeutete. Es ließ
die Kugelblase in einer Tasche ihrer Außenhaut verschwinden und
sah sich weiter nach einem Ausgang oder zumindest nach einem Verkaufsautomaten
um.
Dass Erdnussflips auf Büschen wachsen, hatte das Zoey auch noch
nicht gewusst. Allerdings schmeckten sie auch gar nicht wie Erdnussflips.
Eher wie alter Fisch.
Das Zoey spuckte aus und spürte, wie seine Lippen plötzlich dick
wurden.
»Was iss’n daf fuf Zeuch?«, brabbelte es und befühlte seinen Mund,
der immer größer wurde.
Es raschelte und klapperte und als sich das Zoey umdrehte, sah es
erneut die Metallkäfer. Offensichtlich hatte es sich herumgesprochen,
dass es hier etwas zu bekrabbeln gab, denn sie strömten wie
ein fließender Teppich auf ihr Ziel zu. Das Ziel war natürlich das Zoey
und es galt erneut, eine Fluchtmöglichkeit zu finden. Doch außer dem
Gang, aus dem es gekommen war und aus dem jetzt die Käfer kamen,
konnte es keinen weiteren Ausgang entdecken, und so blieb nur die
Variante, noch tiefer in die Botanik zu flüchten. Das Zoey geriet in einen
Wald aus vertrockneten Riesenrüben, die ihre Blätter hängen ließen.
Je weiter es vordrang, desto dunkler wurde es. Jetzt hätte das
Zoey nichts dagegen gehabt, der einen oder anderen Lampe zu begegnen,
selbst mit Spinnenbeinen. Doch wenn man mal etwas
braucht, ist es nie da, wo es sein soll. Immer tiefer verirrte sich das
Zoey in die Dunkelheit hinein, bis es endlich auf eine Lampe traf.
Dummerweise leuchtete diese jedoch nicht, und so kam es, dass
das Zoey darüber stolperte, nebenbei noch einen weiteren Krabbelkäfer
zerquetschte und auf einen dunklen Fleck zustürzte. Als die
ausgestreckten Hände ins Leere griffen, wurde ihm klar, dass es sich
um ein gähnendes Loch im Boden handelte.
Contro Haxl III
27 hatte seine Flugdüsen eingeschaltet und das fremde
Monster bald wieder eingeholt. Es befand sich inzwischen in den botanischen
Zuchtanlagen. Hier sah ich auch den Ort meiner Entstehung
wieder, das Sumpfbecken mit der Pilzkolonie. Von meinem ehemaligen
Pilzkörper war nur noch klebriger Schaum übrig geblieben.
Das fremde Wesen bückte sich gerade nach der seltsamen Kugelblase,
die wir auf dem Grund des Sumpfbeckens gefunden und hier
zurückgelassen hatten. Es hob sie hoch, betrachtete sie interessiert,
murmelte etwas Unverständliches und ließ sie in einem Schlitz seiner
Außenhaut verschwinden.
Anschließend probierte es von einer Frucht, spuckte sie jedoch
wieder aus. Inzwischen hatten uns nicht nur die zehntausend Kollegen von Contro Haxl III
27 eingeholt, der Beobachtungstrupp war auf
fünfzigtausend Einheiten verstärkt worden. Das Multidoxilum wurde
langsam ungeduldig.
Das zweibeinige Wesen flüchtete weiter in die Stechrübenhabitate.
Da sich diese gerade im Schlafmodus befanden, war auch keine
Blindlampe hier und so war in der Finsternis kaum etwas auszumachen.
Contro Haxl III
27 wusste aber, dass das fremde Wesen genau auf
den Schacht zustapfte, der zur unteren Ebene führte.
Was sich jedoch unserer Kenntnis entzog, war, ob dieses Wesen in
der Dunkelheit sehen konnte, oder ob es über Flugdüsen verfügte, und
so wollten wir es sicherheitshalber warnen. Contro Haxl III
27 überholten
es, landete vor seinen Füßen und funkte es an. Doch vergeblich.
In diesem Moment kam diese blöde Blindlampe hinzu, dieselbe, in
der ich zuvor gewesen war und die aufgrund ihres Defekts im Moment
mal wieder nicht leuchtete. Das Monster stolperte über die
Lampe, verlor das Gleichgewicht, wobei Contro Haxl III
27 unglücklicherweise
unter seine Stampfer geriet. Gemeinsam mit der Blindlampe
und dem Weltraummonster fielen wir in die Tiefe.
Contro Haxl III
27 war ziemlich platt.
»Tut mir leid«, ächzte er, »aber ich fürchte, ich kann dir nicht mehr
helfen.«
Die Sicht war schwarz, doch nicht, weil es in dem Schacht, in den
wir gefallen waren, stockfinster sein dürfte, sondern weil die Kameras
im Eimer waren.
»Wo willst du denn hin?«, fragte ich.
»Ich bin völlig geschrottet und reif fürs Recyceln.«
Das grobmotorische Raummonster hatte meinen freundlichen
Gastgeber in einen Totalschaden verwandelt. Wie es aussah, konnte
er keinen einzigen seiner acht Fußbeine mehr gebrauchen und seine
Flugdüsen waren ebenfalls zerknittert.
Ich erkundigte mich, was es mit dem Recyceln auf sich hatte und
Contro Haxl III
27 erklärte es mir: »Verwertbare Einzelteile werden ausgebaut
und der Rest eingeschmolzen. Aber keine Angst, ich werde einen
brandneuen Körper bekommen, auf den ich dann neu aufgespielt
werde.«
Ich stockte einen Moment: »Und was passiert mit mir?«
Die Antwort der Ferromechteks gefiel mir weniger gut: »Tja, gute
Frage. Von dir gibt’s hier ja kein Back-up. Und ob meine Kollegen
einen brauchbaren Klon deines alten Pilzkörpers erstellen können, ist eher fraglich. Ich
fürchte, du wirst gelöscht.«
»Aber …«, stieß ich entsetzt hervor, »mein Leben hat doch gerade
erst begonnen!«
Contro Haxl III
27 schien eine Weile zu überlegen und meinte dann
lapidar: »Sieh es einfach positiv: Normalerweise hat ein Pilz nicht das
Glück, überhaupt intelligent zu werden. Betrachte dich einfach als
sensationellen Eintagspilz. Du warst immerhin ein einmaliges Geschöpf.
«
»Na toll«, brummte ich frustriert.
»Warte mal, was ist denn das?«, unterbrach Contro Haxl III
27 meine
trüben Gedanken. Er war plötzlich sehr beschäftigt und schien irgendetwas
entdeckt zu haben.

Das Zoey befühlte sein Hinterteil, dann seinen Mund. Obwohl es in
Zeitlupe gefallen war, schmerzte Ersteres, während Letzteres sich bis
zum Platzen aufgebläht hatte. Es musste schrecklich aussehen und
brauchte unbedingt einen Spiegel. Als es nach dem Handy tastete,
musste es feststellen, dass es ihm aus der Tasche gefallen war. In der
Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen, doch ein paar Meter weiter
flackerte ein Licht. Das Zoey taumelte darauf zu und musste feststellen,
dass es sich um eine dieser Spinnenlampen handelte. Ihre Spinnenbeine
waren zerbrochen, sie musste zusammen mit ihm heruntergefallen
sein. Das Zoey stieß sie ein paar Mal mit dem Fuß an und als
sicher war, dass sich da nichts mehr bewegte, griff es mit spitzen
Greiferfingern vorsichtig nach einem der Fußbeine. Mit ausgestrecktem
Arm und verzogener Miene hob es die Lampe in die Höhe und
rüttelte sie vorsichtig. Das Flackern beruhigte sich ein wenig. Dann
suchte das Zoey mit der Lampe den Boden ab. Neben einem zertretenen
Käfer fand es sein Handy.
Das Zoey setzte die Spinnenlampe wieder ab und schaltete das
Handy ein. Es hatte jetzt einen Sprung im Display, aber zum Glück
funktionierte es noch. Es gab sogar einen schwachen Empfang!
Doch leider gab es nur eine einzige neue Nachricht, und die kam
nicht nur von einem unbekannten Absender, sonder bestand auch
noch aus unzusammenhängenden Buchstaben und Sonderzeichen.
Vermutlich eine nervige Werbeapp, die sich installieren wollte, oder
gar ein Virus. Das Zoey blockierte den Absender, löschte die Nachricht,
schaltete das Handy auf Stand-by und steckte es weg. Im selben
Moment flackerte die Lampe ein letztes Mal auf und schaltete
sich endgültig ab.
»Mammo …!«
Eigentlich wollte das Zoey
Manno sagen, musste sich aber eingestehen,
dass es nicht mehr in der Lage war, ein vernünftiges Wort
hervorzubringen. Blind, weil es jetzt stockdunkel war, trat es wütend
nach der Lampe, traf und hörte, wie sie über den Boden schepperte
und ein paar Meter weiter liegen blieb.
Das Zoey schimpfte noch eine Weile vor sich hin, während es versuchte,
irgendetwas in der Dunkelheit zu erkennen.
Es dauerte eine Weile, doch dann tauchte eine neue Blindlampe auf und brachte etwas Licht in die Umgebung. Zum Glück bewegte sich das Ding an der Decke und kam dem Zoey nicht allzu nahe. Aus dem runden Raum, in dem es sich jetzt befand, gab es nur einen einzigen Ausgang, aus dem die Blindlampe gekommen war.
Mit einem Summen wurde eine neue Nachricht angekündigt.
Das Zoey fummelte erneut das Handy hervor und sah nach. Dieses
Mal nannte sich der Absender ›H§i=l-FE!‹
Werbeapp oder Virus, dachte sich das Zoey erneut und dann: Auch
schon egal und drückte auf ›zulassen‹.
Sekundenlang rollten endlose Hieroglyphen über das Display,
schließlich erschien das Wort ›Danke!‹
›Hi, wer da?‹, tippte das Zoey in die Textbox.
›Nachwitzige Sumpfbacke‹, kam es kurz darauf herein.
Das Zoey wischte die Nachrichtenapp wieder weg. Verarschen
konnte es sich selbst.
Die geschwollenen Lippen machten ihm indessen größere Probleme.
Es hielt das Handy ausgestreckt von sich weg und schoss ein Selfie.
Als das Zoey sein Abbild betrachtete, fiel es wie vom Blitz getroffen
in Ohnmacht, während ihm das Handy erneut aus den Greifern
fiel.
Contro Haxl III
27 hatte mich also nach mehreren Versuchen in das Gerät
überspielen können, das
Smartphone oder auch
Handy hieß. Hier
war es zwar etwas komfortabler als im Körper des Ferromechtek,
aber irgendwie auch simpler – oder sollte ich sagen, primitiver?
Wichtig war nur, dass ich fürs Erste gerettet war, während Contro
Haxl III
27 von seinen Kollegen zum Recycling gebracht wurde. Außer
einigen primitiven 0101-Programmen gab es keine Bewohner. Zumindest
nicht hier drin.
Die fremde und neue Umgebung zu erkunden, wurde fast schon
zur Routine. Leider musste ich feststellen, dass es hier für mich nicht
allzu viele brauchbare Funktionen gab und ich mich in den wenigen
zudem erst einlernen musste. Immerhin konnte ich mithilfe der Übersetzungsapp,
die mir Contro Haxl III
27 freundlicherweise mitgegeben
hatte, erste Textbotschaften aussenden. Bislang jedoch ohne großen
Erfolg. Es hatte sich zwar kurz jemand gemeldet, sich aber sogleich
wieder verabschiedet. Dann wurde plötzlich eine Kamera eingeschaltet,
ich blickte direkt in das riesige und deformierte Monstergesicht
des Zoey, das mir mit dickem Maul und sich weitenden Augen entgegen
starrte, bevor sich die Pupillen aus irgendeinem Grund zu drehen
begannen und es einfach rücklings umfiel. Das Handy fiel dabei
ebenfalls zu Boden und die Kamera wurde wieder schwarz.
Das Handy hatte weder Füße, Arme noch Flugdüsen, zumindest
konnte ich nichts Vergleichbares finden. Nach einer ganzen Weile
entdeckte ich aber, wie ich zumindest die Kamera wieder einschalten
konnte. Alles war unscharf, dunkel und wackelte ständig. Dann wurde
mir bewusst, dass ich getragen wurde. Als ich ein paar achtbeinige
metallische Käfer über die Kamera huschen sah, wusste ich auch, von
wem.
Ich hoffte nur, dass dieses Handy nicht auch gerade auf dem Weg
zum Recyceln war. Irgendwann entdeckte ich auch den Ton und
lauschte gespannt der Unterhaltung der Ferromechteks. So erfuhr
ich, dass sowohl Contro Haxl III
27 als auch die kaputte Blindlampe gerade
auseinandergenommen wurden.
Soweit ich erkennen konnte, bewegten wir uns durch dunkle und
mysteriöse Gänge und durchquerten hohe Räume mit blubbernden
und krächzenden Maschinen, deren Sprache mir jedoch nicht übersetzt
wurde. Schließlich wurde das Handy in die Große Halle hineingetragen,
die ich bereits kannte.
Offensichtlich waren wir an unserem Ziel angekommen, die Ferromechteks
drehten das Handy in die Senkrechte und lehnten es an eine
Wand, sodass ich die gesamte Szene überblicken konnte. Die dicke
und flimmernde Säule aus Licht ragte links in meinen Bildausschnitt
hinein. Dahinter stand der große, dunkelrote Kasten auf vier Gummirädern.
Daneben wirbelte und waberte dieses Energieknäuel von
Multidoxilum und bewegte sich langsam in die Lichtsäule hinein.
Rechts sah ich, wie die Ferromechteks gerade das zweibeinige und
offenbar leblose Weltraummonster auf dem Boden absetzten, sich
von ihm lösten und sich anschließend im Raum verteilten.
Noch weiter rechts hüpfte unruhig das haarige Murgelwesen herum.
»Hallo, kannst du uns hören?« baute sich einer der Ferromechteks
vor mir auf. Sicher einer der Dolmetscher. Ich hielt erst mal still
und wartete ab, außerdem hatte ich die Sprachausgabe noch nicht
gefunden. Die Ferromechteks waren sich anscheinend nicht einig, ob
das biologische Weltraummonster, das elektronische Handy oder der
große mechanische Kasten auf Rädern einen möglichen Ansprechpartner
darstellte, und so versuchten sie es bei allen dreien.
Das Multidoxilum war natürlich untröstlich, als es von dem Missverständnis
mit der Knäuelfrage erfuhr. Dieses zweibeinige Weltraummmonster
hatte damit lediglich den Knoten in seinem dummen
Kabel gemeint und nicht ihn. Dennoch wollte es sich nichts zuschulden
kommen lassen.
Wenn ein Besucher nicht die richtigen Fragen stellte, wurde es
normalerweise sogleich wieder zurückgeschickt. Der Strahl war
schnell umgepolt, doch dieses Mal gab es das Problem, dass sich
durch den unkoordinierten Schrei des Murgels die Zielkoordinaten
nicht so einfach wiederherstellen ließen. Ich sah, wie sich das Multidoxilum
in die Mitte des Strahls begeben hatte, wohl um die verlorene
Spur in einer der vielen Dimensionen wiederzufinden.
Dann begann sich das Monster zu regen, dass bei mir auch als
Benutzer
oder
Zoey gespeichert war. Langsam richtete es sich auf,
schwankte ein wenig und drehte sein oberstes Segment, in dem sich
die Sehorgane befanden in die eine und dann in die andere Richtung.
Als es das kleinere haarige Murgelwesen entdeckte, streckte es die
Greifer danach aus, hob es empor und sprach: »Och fie füüüfff!«
Aus dem kleinen Wesen schnellte etwas Dünnes, Langes und Rosarotes
heraus, dessen Ende klatschend auf einer freien Stelle neben
dem auffällig dicken Sprachorgan landete. Das Sprachorgan verformte
sich wie schon bei früheren Gelegenheiten zu einem großen Loch,
aus dem ein entsetzlich schriller und überlauter Ton kreischte. Der
Ton war noch lauter als alle vorhergehenden und ließ beinahe die
Kameralinse des Handys zerspringen. Im selben Moment sah ich, wie
die Lichtsäule aufblitzte und das Multidoxilum darin verschwand.
Dann rutschte das Handy zu Boden und ich konnte nur noch auf
die Decke der Halle starren. Um mich herum gerieten die Ferromechteks
in helle Aufregung, sie klapperten alle hysterisch durcheinander.
»Es ist weg!«, hörte ich immer wieder, »das Multidoxilum ist weg!«
Das Multidoxilum war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Der
Schrei des Zoeys hatte dreizehn Dimensionen durchdrungen. Doch im
Gegensatz zu den
zeitlosen Raumtunneln, die mithilfe des Murgels
gebildet wurden, hatte der Schrei des Zoeys einen Strudel aus
raumloser
Zeit entstehen lassen.
»Wir wissen nun, dass das Multidoxilum zehntausend Jahre in die
Vergangenheit geschleudert wurde«, erklärte mir Contro Haxl III
28,
der inzwischen wieder nagelneu und blitzblank unter uns weilte.
Die Reise des Multidoxilums war zusammen mit den Ereignissen,
die wir soeben miterlebt hatten, in jenem Gedächtnisagglomerat fein
säuberlich dokumentiert, das dem Multidoxilum irgendwann verloren
gegangen war.
Contro Haxl III
28 und ich hatten die Kugelblase im Sumpfbecken
gefunden, anschließend war sie dem Zoeywesen in die Greifer gefallen.
Doch nachdem es mit der Gedächtnisblase nichts anzufangen
wusste, hatte das Zoey das Teil den Ferromechteks zurückgegeben.
Das Multidoxilum hatte also endlich seinen Ursprung gefunden.
Dumm nur, dass es sich dabei quasi als die unendliche Wiederholung
eines endlosen Lebenslaufes entpuppte, der aus sich selbst entsteht.
Doch ich tröstete mich damit, dass es das vielleicht alles gar nicht
mitbekam. Das Multidoxilum war auf einem Asteroiden gestrandet,
auf dem zufällig dieselbe Spezies von Ferromechteks lebte, die es soeben
verlassen hatte. Die freundlichen Eingeborenen würden ihm ein
neues Zuhause bauen, bald darauf würde es das entsprechende Gedächtnisagglomerat
verlegen, das irgendwann im Sumpf versumpfen
würde. Es würde alles wieder vergessen und sich erneut auf seine
immer wiederkehrende Suche begeben und irgendwann wieder durch
den Schrei des Zoeys in die Vergangenheit getunnelt werden.
Damit war diese Sache also geklärt. Die andere Frage war, was mit
mir, dem Zoey und dem Murgel passieren sollte.
›Das Akku ist gleich leer!‹, tippte das Zoey in sein Handy, da es
sich mit dem Sprechen immer noch schwertat. In der Tat hatte ich
kaum noch Energie und mir war schon ganz schwindlig.
Die Ferromechteks waren wie immer sehr hilfsbereit und pumpten
sogleich Energie in meine Wohnstätte.
›Ich habe Hunger!‹, verkündete das Zoey als Nächstes. Auch ein
Biomonster brauchte verträglichen Brennstoff für seinen Antrieb. Da
ich ein schlechtes Gefühl dabei hatte, ihm ein Pilzragout aus meinen
genetischen Exbrüdern vorzuschlagen, ging ich die verbleibenden
Möglichkeiten durch.
Die Heimat des Zoeywesens war ohne die Hilfe des Multidoxilums
nicht mehr auffindbar, das stand nun dummerweise auch fest.
›Montag ist wieder Schule, aber mit
dem Gesicht kann ich mich da
auf keinen Fall blicken lassen‹, postete es mir zu.
Ich hatte keine Ahnung, was ein Montag oder eine Schule sein
sollten, aber das Zoey hatte es offenbar nicht so eilig, wieder dahin
zurückzukehren, wo es hergekommen war. Trotzdem mussten wir einen
Ort finden, an dem es etwas Genießbares für den Zweibeiner
gab. Nur wo und wie? Ich wusste inzwischen, dass das Universum
nicht nur unendlich, sondern auch krumm sein konnte.
Das Multidoxilum hatte aus unzähligen Welten Besucher geholt und
wieder zurückgeschickt. Mithilfe des Murgels konnte der entsprechende
Dimensionstunnel erzeugt werden. Doch hierzu wären die Berechnungen
des Multidoxilums und monatelange Nahrungsergänzungszuchtversuche
für das Tier nötig gewesen.
Ich betrachtete den Murgel, der immer noch unruhig auf seinen
Beinen hüpfte. Dabei kam ich auf die Frage, die uns möglicherweise
von hier wegbringen konnte: ›Wie ist dieses Tier eigentlich hierhergekommen?‹,
schrieb ich an die Ferromechteks.
»Wie alle anderen«, antwortete Contro Haxl III
28. »Mit dem Dimensionstunnel.
«
›Ja. Aber wie habt ihr denn da den Dimensionstunnel ohne den Murgel
erzeugt?‹
Contro Haxl III
28 hatte zusammen mit fünf Millionen Ferromechteks
den Bus zurück in die Lichtsäule gestellt. Neben ihm erkannten wir
seine Freundin Hetzka Zeppla XIV
9, die uns aufmunternd zuwinkte.
Das Zoey und ich waren bereit.
Fünfzig Ferromechteks hielten eine Blindlampe in zwanzig Metern
Höhe fest, bereit, sie jederzeit loszulassen.
Die Murgels kamen von einer Welt, die nicht allzu weit entfernt
lag. Eine halbe Raumkrümmung, die durch einen einfachen Hilferuf
einer Blindlampe erzeugt werden konnte, gar nicht zu verfehlen. Contro
Haxl III
28 war guter Dinge, dass es sich um einen fruchtbaren Planeten
handelte, auf dem das Zoey sicher etwas zu fressen finden
würde. Ich vertraute ihm, außerdem sah ich ohnehin keine andere
Möglichkeit, hier weiterzukommen.
Das Zoey verstand nicht viel von diesen Dingen. Es war froh, sein
Handy wiederzuhaben, auch wenn jetzt ein, zwei Sprünge über dem
Display verliefen und sich eine seltsame App darin eingenistet hatte.
Das Zoey hatte mich Nawi genannt, weil ihm
Nachwitzige Sumpfbacke
zu lang war.
Nun saß mein Trägertier auf dem Fahrersitz und umklammerte das
Lenkrad. »Fahfen wir balf loff?«
Es betastete die Lippen, die sich schon etwas besser anfühlten,
trotzdem redete es noch immer geschwollen daher.
Plötzlich klebte das Murgeltier auf der Windschutzscheibe und
blickte uns mit flehenden Blicken an. Inzwischen hatte ich die
Sprachausgabe entdeckt und schlug dem Zoey vor, ihn mitzunehmen:
»Es ist immerhin seine Heimat, zu der wir uns begeben!«
»Möö«, erwiderte das Zoey und funkelte das Tier an.
Schlimm genug, dass die aufgeblasenen Lippen es so verunstalteten,
zu allem Überfluss leuchtete jetzt auf seiner rechten Wange noch
ein Bluterguss, der dort nicht hingehörte. Verursacht von diesem
Raubtier da draußen. Das Tier blickte nach rechts und links, ohne den
Kopf zu bewegen, dann sah es dem Zoey wieder in die Augen.
»Eigentlich finde ich es auch süß«, sagte ich.
Das Zoey seufzte und öffnete die Fahrertüre. Ängstlich kam das
Tier um die Ecke geschlichen.
Das Zoey hielt ihm den Zeigefinger entgegen: »Abba küff mich nie
wieda!«
Freudig sprang ihm der Murgel auf den Schoß und ließ seine Zunge
vorschnellen. Draußen hörten wir die fallende Blindlampe schreien.
Dann blitzte es auf.
Auf Zoeys linker Backe prangte ein weiterer Knutschfleck, der
durch den Dimensionssprung besonders violett leuchtete.